Claudiha - Gayatri : Background and Intention

Background und Intention

Meine oberton-musikalische Arbeit und Musik

Die Obertöne oder die Natur-Ton-Reihe in jedem natürlich schwingendem Ton hat Pythagoras in seinem damaligen Forschen dargestellt. Auf einem "monos-chordos", einem einsaitigen Instrument mit Holzkasten. Er fand in den ganzzahligen Teilungsverhältnissen, die einem Ton innewohnen, und dessen Klang-Farbe und Klang-Fülle ausmachen die grundlegende Zusammengehörigkeit von Algebra, Geometrie und musikalischer Harmonie. So erklingt im Grundton an den ganzzahligen Teilungs-Stellen, :2,:3,:4,:5,:6, usf. bis ins Un-endliche jeweils ein Ton mit: an der Hälfte die erste Oktave, am Drittel die Quint der ersten Oktave, am Viertel die zweite Oktave, am Fünftel die Terz der zweiten Oktave, am Sechstel die Quint der zweiten Oktave, am Siebtel die Sept der zweiten Oktave, am Achtel die dritte Oktave, das Neuntel ist etwa ein Ganzton weiter, das zehntel wiederum, und die Ton-Abschnitte werden immer kleiner und subtiler, mit dem Elftel, dem Zwölftel, dem Dreizehntel, immer weiter-weiter klingts und schwingts, bis ins Un-Endliche. Das hören wir nicht mehr alles im Einzelnen, aber mit dem Hin-Horchen können wir folgen, und von der Weite in einem Klang hörend ahnen: In einem Ton sind alle Töne. Das gilt für alle natürlich schwingenden Töne.

Graphisch dargestellt ergeben diese aufscheinenden Obertöne eines Tones eine exakte geometrische Kurve: die Hyperbel. Wie ein gotischer Bogen. Als Malerin freue ich mich jedesmal, wenn ich in einem Ton meiner Stimme herum-hyperbele und einen gotischen Bogen in die Luft gesungen habe. Denn auch in der Stimme spielt diese Gesetzmässigkeit eine Rolle. Es gibt Techniken, die Oberton- oder Naturton-Reihe in der Stimme deutlich hörbar zu machen.
Dieses naturphysikalische Gesetz verbindet Sichtbares und Hörbares in seinem Klang- und Bewegungsverhalten. Fast so, als ob das Innere des Tons in seiner stetigen, vibrierenden Bewegung das Klingende in die be-greifbare Form bringen möchte.

Unser musikalisches System und unsere Hörgewohnheiten haben sich seit der Leistung von J.S. Bach, dem "Wohltemperierten Klavier", mehr auf das Zueinander-Hören von Grundtönen entwickelt. Aber auch in unserer Musik beziehen wir das Wissen um die Obertöne mit ein. Denn wie diese anklingen macht die Klang-Farbe oder Klang-Fülle eines Instrumentes aus. So habe ich mir von einem Orgelbauer erzählen lassen, dass in einem vollen Orgelton bis zu 60 Obertönen nachweislich messbar sein sollten. Das ist dann die Fülle und der Klang-Raum eines Orgeltons.

Wenn wir nun die Natur- oder Oberton-Reihe einzeln ausdrücken wollen, müssen wir lang-weilig und mono-ton in das Innere des einen Tons hineinwandern und uns der Vielfalt einer Ein-Tönigkeit öffnen. So ist die Beschäftigung mit dieser Art des Sprechens und Singens auch eine Meditation, die uns in unsere Selbstwahrnehmung und eigene Mitte führen kann.

Denn in allen lebt und wirkt dieses Gesetz: Es vibriert in der Sprache, in den Vokalen und Konsonanten. Und als wir ehedem, jeder, jede, in seiner, in ihrer Mutter herumgeschwommen sind, hat sich schon ab dem 10. Tag nach der Empfängnis das Hin-Horchen-Wollen mit dem Beginn des Ohres als erstem Sinn gebildet. Und im Laufe der Monate hat sich die Gehörschnecke, das Raum- und Bewegungsempfinden im Vestibularapparat, die Ohr-ientierung, das Nervensystem und das Fühlen der Haut auf die Vibrationen der Klänge und Bewegungen in diesem ersten Raum unserer Verkörperung ausgerichtet und differenziert. Von hier aus orten wir uns: Gleichgewichts- und Hörnerv werden zu einem Hauptnerv im Gehirn. Körpersprache und Sprachbewegung finden hier ihren Ursprung.

Die Klänge der Stimme der Mutter und dessen, was sie hört, vibrieren in ihren Knochen und dem lernen wir zu lauschen. Wechselseitig entwickelt sich Ohr und Hören und differenziert sich mit der Wahrnehmung der Obertonfrequenzen, die wir in der Mutter mit unserem Körper vernehmen. Das Vermögen, im Laufe von Wochen und Monaten hohe und tiefe Töne mit dem ganzen Körper und Ohr zu erkennen, mit den eigenen Knochen mitzuschwingen, führt uns zu dem Zeitpunkt, wo wir aus unserer Mutter hinauswollen, um dann selber unsere Töne und Sprache vernehmen zu lassen.

Der französische HNO-Arzt Alfred Tomatis, der über die "Klangwelt-Mutterleib" forschte beschreibt dies so: "Jetzt habe ich Dir so lange zugehört, Mama, jetzt bin ich dran!" Und dieses Dran-Sein ist ein dann wechselseitig sich stimmender und ausrichtender Prozess, wie wir wissen.

Das Wirken mit den Obertönen kann uns tief in die Evolution unserer Verkörperung führen. In das Verstehen dessen: "Im Anfang war das Wort", der Klang. Und in "das Wort ist Fleisch geworden". Das ist - sozusagen handwerklich - im Körper nachvollziehbar. Durch das subtile Fühlen dieser feinen mitschwingenden, den Ton mitgestaltenden Obertöne erfahren wir das Anklingen aus dem Un-Hörbaren, aus dem Nicht-Greifbaren, aus dem Un-Endlichen ins Hörbare, Greifbare, Endliche hinein und wiederum das Verklingen ins Un-Hörbare, Nicht-Greifbare, Un-Endliche hinaus.... Ein ewiges Spiel von ins Leben kommen, in der Verkörperung verweilen und Hinübergehen.

Die Mongolen sagen, sie hätten das Oberton-Singen von einem Wasserfall gelernt. Wasser bewegt sich in einem Grundton, alle klingenden Bewegungen sind obertönig darin. In allen schamanischen Traditionen der Welt spielen die Obertöne eine wichtige Rolle. Möglicherweise ist das europäische Wissen über diese Aspekte zur Zeit der Inquisition verloren gegangen....: In der Mongolei wird diese Art des Gesangs auch dazu verwendet, um auf einer tiefen Ebene mit der Natur, den Pflanzen, den Tieren zu kommunizieren.

In Tibet werden Mantren gesungen, die durch die Wiederholung die Klangmuster der Worte tief in die Verkörperung nehmen: Jeder Vokal erklingt in einem spezifischen Oberton, Konsonanten haben Oberton-Muster, sowie Silben und Worte. Auch unsere heiligen Worte können wir obertönig als Mantren singen: Alleluja, Kyrie eleison, Gloria und Amen.

Im Wort Amen ist die Ursilbe Om verborgen, im Alleluja versteckt sich die Klang-Matrix von Allah. Mit den Obertönen verhält es sich ähnlich wie mit den Flammen von Kerzen: das Licht der Flammen ist gleich, wenn auch die Kerzen verschieden sind. Unsere Stimmen sind unterschiedlich, aber die Obertöne sind sich gleich.

Wenn früher und vielleicht auch heute noch in den Kirchen im Mai die Frauen das "Gegrüsset seist du, Maria" wie raunend, in einer Art monotonem Sing-Sang rezitierten, immer wieder-holend, dann konnte sich in dem "Klang-Wasser" dieser Eintönigkeit wie aufkeimend das obertönige Muster zeigen, wenn da ein bewusstes Hin-Horchen war.

Mein Anliegen ist es, im Sprechen, Singen und Musik-machen, den Vorgang des Horchens selbst erlebbar zu machen: Bei den Zuhörern auf meinen Konzerten und den SchülerInnen und TeilnehmerInnen meiner Seminare und Unterrichtsstunden.

Claudiha - Gayatri (Claudia Matussek), Oktober 2001,2004 ©